Adolf Hölzel
Weltbewegende Ereignisse Wasserstandsmesser


[recto:] Weltbewegende Ereignisse Wasserstandsmesser Künstlerische [?..] Krankenheilanstalt Man sagt einfach das ist Kunst und hat sie. Denn die meisten glauben, das[,] was gerade sie machen[,] ist das Einzige, Richtige. Dann giebts auch Solche [,] die darüber nachdenken und ihre ganze Erfahrung zu Hilfe nehmen, um zu ergründen, in was die Kunst für den Schaffenden besteht, und wer und was sie im Grunde genommen eigentlich wirklich ist, abgesehen von allen ästhetischen, psychologischen und metaphysischen Ausschmückungen, wie sie wird und wie sie entstehen kann. Die meisten Menschen nehmen die oben erwähnten Ausschmückungen nicht als ein durch Reflexionen geistvoller Köpfe schliesslich Herausdestillirtes, sondern als Grundlegende Bedingungen für das Entstehen eines Kunstwerks. Sie betrachten ein solches als eine Tat des angeborenen Genies, das ohne vieles Nachdenken[,] gewissermassen spielend, nur gestärkt durch Anatomie und Perspektive, eine Höchstleistung sowohl technisch, handlich und vor Allem geistig ohne weiteres hervorbringt. Während die Anderen ein Erfahrungsreiches[,] durch gründliche Studien zu hoher Empfindung gesteigertes Wissen, Können und Fühlen, also ein langsames Werden, einen Sandkorn auf Sandkorn[,] ohne grosse Sprünge von einem zum Anderen aufgeführten, entstehenden und entstandenen Bau vorausssetzen. Also Mühe und Arbeit, sehr rationelle Arbeit, gegenüber einem Plötzlichen ohne [verso:] viel Wissen und Nachdenken Entstandenem [.?.]. Diese zwei verschiedenartigen Meinungen stehen energisch gegeneinander, sowohl von Seiten des Publikums, das grösstenteils im ohne weiteres Genialen für sich selbst und seine Talentlosigkeit ein wahrhaft Beruhigendes findet, als auch von Seiten der Kritiker und der meisten Kunstgelehrten und Schriftsteller aus zum Theil gleichen Gründen, wie auch vieler Maler, die als Genie's mit den ihnen dargebrachten und von ihnen geforderten Huldigungen ganz anders dastehen wie als mühselige Arbeiten: Es ist daher begreiflich, dass die, die das Geniale als etwas Gewordenes und unter schwerer Arbeit Erworbenes erkennen, nur in ganz geringer Minorität gegenüber der überwältigenden Majorität der sich anders Gebärdender da sein werden und bei der Sieghaftigkeit von Majoritäten an sich kaum mit ihrer Überzeugung durchdringen können. Ausser der Klärung in diesen Dingen fehlt sie auch noch anderweitig im Künstlerischen Schaffen. Es herrscht Streit darüber, ob das Hauptstudium in der Kunst die Natur sein müsse, oder ob man Natur für das künstlerische Schaffen erst richtig erfassen kann, wenn man gründlich in das Loesen von Kunst eingedrungen ist, was voraussetzt, dass dieses der Ausgang alles künstlerischen Schaffens sein muss. Ist diese letztere Aussicht die richtige, die in ihrer Art ein folgendes Naturstudium freilich unter anderer rein künstlerischer Voraussetzung nicht ausschliesst: dann steht unser ganzes künstlerisch akademisches Studium auf falscher Basis. Hier ist dann ein Majoritätenentscheid ein geradezu katastrophales Unglück. Es ist damit nicht abgetan, dass die leitende Kreise sich auf Majoritäten stützen und sich beide gegenseitig decken. Die Anklage ist eine zu gewaltige.
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