Michael Lingner: Argumente für eine Teilnahme am angebotenen Mentoring-Programm

Eine Gemeinsamkeit zwischen Künstlern und dem Publikum besteht in der Erwartung, dass Kunst ein Kommunikationsmedium sein soll. Dass dann auch die Entstehung von Kunst kommunikativ sein müsse, ist nur folgerichtig und wird zudem durch praktische Erfahrungen bestätigt. Etwas müsse, so Michel de Montaigne, „schon etwas von der Eigenschaft der Sache bei sich führen, worauf es gerichtet ist; denn das ist ein wichtiger und wesentlicher Teil seiner Wirkung.“

Einen bloßen Austausch irgendwelcher Informationen als Kommunikation miss zu verstehen wäre freilich für die Entstehung von Kunst keinesfalls hinreichend. Vielmehr ist vor allem eine konsequente Befragung und Begründung des künstlerischen Arbeitsprozesses sowie ein Dialog zur argumentativen Erörterung der Qualität von den dabei entstandenen Ergebnissen erforderlich. Bei dieser Urteilsbildung ist es unentbehrlich, den Zusammenhang mit historischer und gegenwärtiger Kunstproduktion wie auch mit gesellschaftlichen Entwicklungen eingehend in den Blick zu nehmen.

In den meisten für solche Diskurse eigentlich verantwortlichen Institutionen wie etwa der Kunstkritik, den Kunstakademien, den Kunstmuseen,...besteht aber an einer lebendigen Kultur der intensiven und kontroversen fachlichen Auseinandersetzung inzwischen kaum noch Interesse. Zumeist wird eine völlige Fokussierung auf Marketingaktivitäten  als vordringlich angesehen. Jedenfalls gelten offene und strittige Diskussionen als eher geschäftsschädigend und werden allerorts vermieden.

Insofern haben Künstler kaum noch die Möglichkeit sich an inspirierenden Debatten zu beteiligen, um daraus für ihre künstlerische Weiterentwicklung zu profitieren. Gegen dieses Defizit können auch jene einstmals verbreiteten Zusammenschlüsse in teilweise legendär gewordenen Künstlergruppen, -bünden- und -vereinigungen keine Abhilfe mehr bieten. Denn je stärker die Künstler vom allgegenwärtigen Konkurrenzdenken beherrscht werden, desto mehr neigen sie trotz aller vorteilsorientierten Vernetzung zu einer gewissen Vereinzelung. Durch die zur künstlerischen Begabung allemal gehörende Fähigkeit zur Autokommunikation lässt sich das kaum ausgleichen und bei privaten Freunden/Partnern fehlt zumeist die nötige Sachkenntnis und/oder schonungslose Offenheit für ein konstruktives Streitgespräch.

Wie also könnte es Künstlern möglich sein, sich eine für innovative und kreative künstlerische Hervorbringungen unabdingbare Eskalation und Explikation von Differenzen anzueignen? Auf welche Weise sollten sie wesentliche Unterschiede zwischen bereits historisch gewordenen und den von ihnen selbst jeweils zuletzt konzipierten und realisierten Arbeiten denn besser erkennen und verstehen können als durch einen professionellen Blick von außen?

Woher sonst sollen entscheidende Impulse für die Steigerung sowie für die Bewertung der eigenen künstlerischen Produktivität kommen?

Dass der bei jedermann unvermeidliche blinde Fleck durch weitere Sichtweisen kompensiert wird, ist in anderen Kunstgattungen wie der Musik, dem Theater oder dem Film obligatorisch. Dort gibt es längst eine Ausdifferenzierung von Tätigkeitsfeldern für mit unterschiedlichen Aufgaben betraute Personen, die auf der Grundlage gelingender Kommunikation zusammen arbeiten. Dagegen wird in der bildenden Kunst weiterhin der Nimbus des einsamen Universalgenies gepflegt und allenfalls handwerklich, technisch und kommerziell erforderliche Zuarbeit akzeptiert und delegiert.

Aber warum wird beim Kunstschaffen nach wie vor auf eine zusätzliche von außen kommende gezielte Anregung zu grundsätzlichen künstlerischen Überlegungen sowie auf die instruktive Besprechung von konkreten inhaltlichen und formalen Fragestellungen verzichtet? Offenbar fehlt es an der Einsicht, dass eine derartige Beratung heute im Zeichen der Konzeptionalisierung von Kunst mindestens ebenso notwendig für die künstlerische Praxis ist, wie es immer schon etwa für Materialien, Handwerkszeug oder Atelierräume galt. Ob und wie sich die finanziellen Aufwendungen für all das überhaupt erbringen lassen, daran ändert das Mentoring als ein weiterer Kostenfaktor grundsätzlich nichts.

Die prekäre Situation der Künstler, welche speziell für die Entfaltung der künstlerischen Talente und generell für die Höhe des kulturellen Niveaus eher abträglich ist, ließe sich indes leicht verbessern: Wenn sich die Vermarktungs- und Verwertungsunternehmen von Kunst auch im wohlverstandenen Eigeninteresse und aus kultureller Verantwortung wenigstens an den zusätzlich durch Mentoring entstehenden Fremdkosten für eine nachhaltige Steigerung des Potentials ihrer Künstler beteiligen würden.

Wäre es nicht nur fair und allemal eine gute Investition, wenn die Verwerter bereit wären, von ihrem normalen prozentualen Anteil am Verkaufspreis der Werke solcher Künstler, die von ihnen vertreten werden und noch am Leben sind, eine bestimmte Marge freiwillig abzutreten? Schließlich erhalten die Verwerter die künstlerische(n) Arbeit(en) sowieso gratis, ohne Produktions-kosten oder Sozialabgaben bezahlt zu haben, aber profitieren davon in jedem Fall durch Geld-und/oder Geltungsgewinne. Dass die Veranstalter von Kunstausstellungen allemal für die aus dem Besitz lebender Künstler stammenden Exponate eine angemessene Leihgebühr zahlen sollten, versteht sich eigentlich ebenso von selbst.

M.L. 4/2016